DAS GEDANKENVIRUS

von Mai 10, 2020Youtube0 Kommentare

Alles in der Natur wirkt darauf hin, das, was zuinnerst ist nach außen hin zum Ausdruck zu bringen. So wird aus dem Samen eine Pflanze, aus der befruchteten Eizelle ein Mensch, aus Emotionen entsteht Verhalten. Verhalten verursacht, es erzeugt eine Wirkung und in der Wirkung zeigt sich der Geist, der diese Wirkung hervorgebracht hat.

So haben wir nun eine Pandemie und viele Menschen leben in Angst vor einem unsichtbaren Feind, der sie durch die Berührung von Türklinken, durch Händeschütteln, Umarmen, den Atem eines anderen Menschen zu infizieren vermag.

Wir sind einander zum Ausdruck der Gefährdung geworden, verstecken uns in unseren Wohnungen und kommen einander nur mehr mit Masken nahe.

Was hat sich verändert?

Eigentlich nicht viel. Das Virus ist nur zum Sinnbild all der Ängste und Vorbehalten, der Verunsicherung und dem undefinierbaren Gefühl von Verzweiflung in einer an sich materiell abgesicherten Welt. Vor Corona herrschte bereits ein anderes Virus, eines des Geistes, welche den Menschen dazu trieb, sich immer weiter von seiner eigenen Natur zu entfernen und in diesem Prozess die Natur rund um sich mehr und mehr zu gefährden, auszubeuten und Schritt für Schritt zu zerstören. Dieser Verlust des Gefühls der Verbundenheit ließ uns blind dafür werden, dass es unser Denken war und ist, welches die Welt schafft, in der wir leben. Angst erzeugt das Gefühl der Gefährdung und erzeugt legt einen Wahrnehmungsfilter über unsere Sinn, sodass wir in allem Möglichen Bedrohungen zu erkennen vermeinen. Die Welt wird zu dem Feind, der wir für sie sind. Vor Covid-19 gab es bereits alle möglichen Gefährdungspotentiale, die uns in Aufregung versetzten, atomare Katastrophen, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Ebola, die Flüchtlingskrise, die Wirtschaftskrise, die Klimakrise, Y2K, alle möglichen Weltuntergangsszenarien, der globale Terror, antibiotikaresistente Keime, …

Alle möglichen Faktoren eines Netzwerks, das wir allesamt nicht verstehen könnten möglicherweise unser wohlbehütetes Dasein gefährden.

Gleichzeitig liefen wir jedoch wie geschäftige Hamster in ihren Laufrädern, planten unsere Urlaubsreisen und erhoben Shopping und reality TV in den Stand zeitgemäßer Freizeitbeschäftigung. Es war, als würden wir all die wirren Ängste betäuben, ausblenden wollen und überlagern mit rosa Zuckerguss. Doch die Spannungen gingen nicht einfach weck. Es bedurfte nur mehr geringgradiger Anstöße und sie durchstießen die dünne Kruste aus Schein und traten in Erscheinung, sei es nun in Form von Erschöpfungsdepressionen, Burnout, Gewaltausbrüchen, Mobbing, Bashing, Kommentaren in sozialen Netzwerken, die einem die Haare zu Berge stehen ließen.

So ist es nicht verwunderlich, dass das Virus es innerhalb kürzester Zeit zustande brachte, dass ein Großteil der Menschen jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit vermissen ließ. Das Virus wurde zur perfekten Projektionsfläche für all jene Gefühle, die bereits lange zuvor unter den Fassaden alltäglichen Funktionierens dahindämmerten. Endlich fanden sie einen Punkt, an dem sie sich orientieren konnten. Da war eine reale Gefahr, auch wenn man sie nicht sah, so herrschte dennoch weitgehend Konsens darüber, dass es vernünftig wäre, sich entsprechend vorsichtig zu verhalten.

Dies ging solange gut, solange nicht alternative Hypothesen dieses Zusammengehörigkeitsgefühl gemeinsamer Gefährdung zu unterwandern begannen und die angewandten Maßnahmen in Frage zu stellen begannen. Kaum war dies geschehen entlud sich die geballte Aggressionskraft gegen all jene, die das endlich eingekehrte Gefühl von Gewissheit wieder ins Wanken zu bringen vermochten.

Das Virus oder zumindest die Vorstellung, die wir uns von ihm in seiner Bedrohlichkeit machen, offenbart grundlegende Krankheitssymptome des modernen Menschen und die haben alle nichts mit einer Infektionskrankheit im klassischen Sinne zu tun.

Es ist die Krankheit, der Trennungen.

Der Trennung von Geist, Seele und Körper, in welcher der Seele kaum noch Lebensraum zur Verfügung gestellt wird, der Geist in der Materie gefangen ist und der Körper zum Kultobjekt und/oder zur Mülldeponie gemacht wurde.

Es ist die Trennung von Mensch und Natur, in welcher die Natur zum reinen Objekt herabgewürdigt wurde, das entweder Erholungs-, Erlebnisraum oder Produktionsfläche und Rohstoffquelle geworden ist.

Die Trennung von Ich  und nicht Ich, im Zuge derer alles subjektive Interpretation, egozentrische Anschauung wurde, relativ, unverbindlich und solange es einen nicht persönlich betraf, Privatvergnügen, das man, wenn es eng wurde, einfach zurückstellte.

Wir entfremdeten uns von allem, sogar von unseren eigenen Kindern, die oft wenige Monate nach ihrer Geburt in professionelle Betreuung gegeben wurden. Sobald sich größere Spannungen ergaben,  wurden sie zu Problemkindern erklärt und nicht als Menschen wahrgenommen, welche das Problematische an den Konstrukten aufzeigten, in die sie gezwängt worden waren. Ihre Probleme wurden pädagogisch, therapeutisch oder medikamentös behandelt wurden, damit sie in die verallgemeinerten Rahmenbedingungen passten.

Damit ist es nur konsequent, dass sie später als Erwachsene solange es ging den Anschein zu wahren und die stetig stärker werdenden Spannungen zu unterdrücken oder anderweitig zu kompensieren suchten und sich selber als Versager betrachteten oder als mangelhaft, wenn sie in den zunehmend Menschen verachtenden Strukturen nicht entsprechend zurechtzukommen vermochten,

Das Virus wäre eine Gelegenheit, aufzuwachen aus diesem Dämmerschlaf sinnentleerter und überfordernder Alltagsroutinen, in welchen der Gruppendruck bereits die Macht hatte, die abstrusesten Nebensächlichkeiten zu essentiellen Verpflichtungen werden zu lassen. Dass die neueste Handygeneration zum verpflichtenden Geburtstagsgeschenk von 15 jährigen wurde, der Kindergeburtstag zu einem Event, die Shoppingmall zum Erholungsraum, der Rasenroboter zu einem musthave und jede Sch…creme zu einem weil ich es mir wert bin.

Werbesujets und ihre Slogans wurden ebenso wie Schlagzeilen und Wahlsprüche zu einem Sinnbild an Reduktion, Vereinfachung und Oberflächlichkeit. Leben hat zunehmend an Tiefe, Reiz, Staunen, Würde und Geheimnis eingebüßt und jeder war zu beschäftigt, zu hektisch, um dies zu bemerken.

Neben den wenigen Erwachsenen waren es die Kinder und Jugendlichen, die kaum anders konnten, als den Finger darauf zu legen. Die einen waren immer schon zu klein und die anderen waren eben wieder die Jugend, von der man erwartete, dass sie die Welt in den Abgrund führen würde – mit anderen Worten, nahm man die Kinder nicht ernst und die Jugendlichen würdigte man herab als verantwortungslos, verzogen, egozentrisch und rücksichtlos.

So vergaben wir Chance und Chance, Möglichkeit und Möglichkeit, bis wir hier landeten und wie hypnotisierte Kaninchen in die Augen einer Schlage starren, die nur in unserer eigenen Vorstellung existiert, denn inzwischen ist das Risiko, an Covid-19 zu versterben großzügig hochgerechnet auf ein Jahr in etwa so groß, wie durch eine Verletzung oder eine Vergiftung das Zeitliche zu segnen.

Wenn wir nun an einer mentalen Krankheit leiden, deren Hauptsymptome Folgen von sich getrennt Fühlen sind, was ist dann der Boden auf dem sie gedeiht?

Ein indigener Stamm der Cree in Kanada gebrauchte zum ersten Mal den Begriff „Wetiko“ im Zusammenhang mit den Weißen. Sie benannten damit einen bösen Geist, ein Virus, welches das Denken, Fühlen und Handeln seines jeweiligen Wirtes infiziert. Dieser wird zu einem gierigen, selbstsüchtigen Menschen, dem das Wohlergehen anderer gleichgültig ist, solange nicht sein eigenes Wohlergehen davon abhängt. Dieser Geist lässt im Menschen einen unstillbaren Hunger wüten, der diesen dann dazu antreibt, immer mehr und mehr anzusammeln an Macht, Besitz, Geld, immer mehr zu konsumieren und dennoch nie gesättigt zu sein. Wagt es der Mensch, sich gegen diesen Geist zu stellen, so droht jener mit inneren Bildern des Verlustes, des eigenen Untergangs und ein  existentieller Bedrohung.

Das klingt irgendwie vertraut.

Wir scheinen alle mehr oder weniger dieses Virus in uns zu tragen. Es macht uns permanent Angst und treibt uns an, immer mehr Zeit und Energie für unsere eigene Absicherung, unser eigenes Wohlergehen aufzubringen, immer mehr zu rauben von anderen – wir nennen dies dann aber natürlich nicht Raub sondern Geschäftssinn – immer rücksichtsloser gegenüber den anderen Lebensreichen auf der Erde vorzugehen.

Damit dies weiterhin funktioniert, da nun schon seit längerem die Konsequenzen solchen Handelns offenbar werden, bedarf es stetigen Fütterns der Angst, bedarf es stetig wachsender Trennung, um die Gefühle des allein Seins, des ausgeliefert Seins, des klein Seins in einer unüberschaubar großen Welt zu nähren. Wir brauchen ein moralisches Stützkorsett, welches uns trotz unseres pathologischen, weil ewig hungrigen Raubtiergehabes, ein Gefühl von Berechtigung desselben, das Bild moralischer Überheblichkeit vermitteln kann, welches unser tatsächliches Verhalten zu kompensieren vermag. Auf diese Weise verdrehten wir die Wirklichkeit, stellten uns selbst als die Krone der Schöpfung, später als die Krone der Evolution dar, maßen uns an technologischem Fortschritt, an der Kompetenz bürokratischer Verwaltungsapparate und an den Highlights fragmentierter, aus den zusammenhängen des lebendigen Netzwerks gerissener, wissenschaftlicher Erkanntnisse.

Wir klopften einander bestätigend auf die Schulter, um den Mangel an Anerkennung, den wir uns selbst nicht mehr zu geben vermochten, auszugleichen. Wir bestätigten uns fortwährend in unserem Verhalten, kamen ohne Rechtfertigungen nicht mehr durch den Tag, bekamen bei den kleinsten Fehlern ein schlechtes Gewissen, konnten allerdings blindlings über millionen Leichen gehen, die unsere Lebensart hinterließ und immer noch neu schafft – werft einen Blick in die Schlachthöfe der Welt, in die Kriegs- und Krisengebiete, die Hungerzonen und das Ödland, an deren Schaffung so gut wie immer Menschen im Geiste des Wetiko beteiligt waren.

Dies ist das eigentliche Virus, welches seit Jahrhunderten bereits in uns wohnt, welches den Kolonialismus hervorgebracht hat, den christlichen und wohl auch den muslimischen Missionarsgedanken, den faschistoiden Glauben an die eigene Überlegenheit und die daraus erwachsenden Rechtfertigungen für so gut wie jede Form rücksichtslosen, ausbeuterischen Handelns zum Wohle des eigenen Lebensstils.

Wir haben uns derart in dieser Art der Selbst- und Weltsicht gefangen, dass die meisten von uns gar nicht mehr anders können, als über all Feinde und Bedrohungspotentiale wahrzunehmen und im Sinne der gewohnten selbstgerechten Haltung, Maßnahmen gegen sie zu ergreifen.

Wir müssen impfen, um der Bedrohung durch das Virus den Garaus zu machen. Wir müssen vielleicht sogar Zwangsimpfen, um jene verantwortungslosen, unvernünftigen Menschen davon abzuhalten, unseren Plan zur Rettung der  Menschheit zu gefährden.

Wir müssen unsere Kinder gegen deren Willen von ihren Eltern trennen, in Disziplinierungsanstalten schicken, um sie zu lehren, zu bilden, zu formen, nach Plan, nicht nach ihrer Eigenart. Wir geben Geschwindigkeit und Rhythmus vor und zwingen ihren eigenen in diesen hinein. Sollten sie sich dagegen wehren, werden sie bestraft, sollten sie daran erkranken, so werden sie zur Funktionalität therapiert

Ich könnte stundenlang diesen Geist in all seinen Ausformungen beschreiben – das Bestürzende daran ist, dass wir immer wieder fähig sind, unser gewalttätiges, jedwedes Mitgefühl entbehrendes Vorgehen, vor uns selbst und innerhalb unseres kollektiven Denkens zu rechtfertigen wissen. Dies funktioniert nur über Ignoranz. Wir ignorieren Gefühle und Empfindungen, wir ignorieren andere Meinungen, wir unterdrücken Studien und Versuche, die diesem Geiste zuwiderlaufen, wir blenden unzählbar viele Erkenntnisse aus, die gut erforscht und dokumentiert sind, jedoch entweder keine öffentliche Plattform bekommen, um kommuniziert zu werden oder einfach keine Gelder, um sich gesellschaftlich etablieren zu können.

Jede/r Einzelne, dem das Wirken dieses Geistes in den Köpfen Herzen und im Handeln der Menschen bewusst wird, trifft auf Unverständnis, Widerstand, Überforderung, oder Rechtfertigungen. Dass dies alles nicht so leicht wäre, dass man sich nicht dagegen auflehnen könne, dass man zu klein wäre, um etwas ändern zu können, dass man selbst keinen Unterschied mache, dass die Welt eben so sei, …

Man trifft auf die Sprache des Wetiko und dagegen gibt es weder Medikamente noch Impfungen. Gegen ihn kann man nicht kämpfen, wir würden verlieren, denn er hat sich bereits in die Grundlagen unseres Denkens und unserer kollektiven Organisationsstrukturen eingenistet.

Was wir allerdings können, ist, ihn auszuhungern, das Milieu zu verändern, auf dem er gedeihen kann. Das Milieu, auf dem er ins schier Unermessliche wächst, ist unsere Art zu denken. Es ist das, was wir fälschlicherweise vernünftig und rational nennen, ohne zu bemerken, dass wir eben diese Art zu denken dafür missbrauchen unser emotional angetriebenes Handeln zu rechtfertigen. Wir denken nicht rational, wir denken egozentrisch und verstecken unsere Selbstsucht hinter Vernunft und Logik.

Es lassen sich inzwischen für beinahe alles, scheinbar rationale Erklärungsmodelle finden. Die geht deshalb so einfach, da das Denken immer nur partiell sein kann, das heißt, dass wir im Denken immer bestimmte Aspekte vernachlässigen müssen, da wir sonst überfordert wären.

Dies führt mich zu einer abschließenden Geschichte

Als C.G. Jung, der Begründer der analytischen Psychologie zu Besuch bei einem indigenen Stamm in Südamerika war, führte er folgendes GesprächCarl G. Jung

„Siehst du,“ sagte Ochwiay Biano,“wie grausam die Weißen aussehen? Ihre Lippen sind dünn, die Nase scharf, ihre Gesichter gefurcht und verzerrt durch Falten. Sogar Ihre Augen haben einen starren Ausdruck; Sie suchen immer nach etwas. Was suchen sie?

Die Weißen wollen immer etwas; Sie sind immer unruhig und rastlos. Wir wissen nicht, was sie wollen. Wir verstehen sie nicht. Wir denken, dass sie verrückt sind.

Ich fragte ihn, warum er denkt, dass alle Weiße verrückt sind.

„Sie sagen, dass sie mit ihren Köpfen denken“, antwortete er. „Aber natürlich. Was meinst denn du?“ fragte ich überrascht. „Wir denken hier“, sagte er und zeigte auf sein Herz….

Das Denken mit dem Herzen hat in unserer Kultur kaum mehr Platz, vielleicht in der Liebe, vielleicht in der Kunst, in manchen Ecken und Nischen unserer Leben, doch wenn es um Ernstes und Wichtiges geht, dann bestimmt so genanntes rationales Faktendenken den Kurs und kaum jemand scheint zu bemerken, dass es zumeist nur als Schleier der Rechtfertigung missbraucht wird vor den selbstsüchtigen Bestrebungen zur Vermehrung von Gewinn und Macht, um recht zu haben, zu gewinnen, besser dazustehen.

Seien wir achtsam, nicht indem wir uns Masken aufsetzen – die tragen wir doch schon seit Jahrzehnten – sondern indem wir auf unsere eigenen Antriebe zu achten beginnen und die Antriebe jener, die uns zu überzeugen, zu kontrollieren, zu manipulieren suchen .

Ich wünsche ihnen das Allerbeste

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